






Städtebauliches Konzept
Klimagerechter Städtebau sollte im Spannungsfeld zwischen hoher, baulicher Dichte und
städtebaulicher Auflockerung mittels klimatisch wirksamer Vegetationsräume sinnvolle Kompromisse
stiften. Eine intensive Ausnutzung städtischer Infrastrukturen durch flächenschonende, kompakte
Bauweisen steht Bedürfnissen zur Absenkung von sommerlichen Höchsttemperaturen, zur Produktion
von Sauerstoff, zur Schaffung von Biotopen und zur Versickerung von Oberflächenwasser gegenüber.
Das Post-/VoBa-Areal als zentraler Stadtbaustein Sindelfingens und Eingang zur historischen
Innenstadt stellt darüber hinaus höchste Ansprüche an die sozialräumlichen Qualitäten des Ortes.
Hier treffen wichtige fußläufige Verbindungen zwischen Bahnhof, Marktplatz, Wettbachplatz, Rathaus,
Garten- und Mercedesstraße aufeinander, ÖPNV, MIV und Radverkehr tangieren das Areal auf der
Gartenstraße. Ein so gut erschlossener Ort bietet günstige Bedingungen für stadträumliche
Aneignung, eine Vielzahl von Aktivitäten jenseits des Transits, Aktivitäten des Aufenthalts, sind hier
sehr erwünscht.
Das Kultur- und Bürgerinnenzentrum als Teil des Raumprogramms verlangt nach einer
selbstverständlichen Präsenz im öffentlichen Raum, man sollte nicht nur intuitiv zu diesem großen,
öffentlichen Gebäude gelangen und sich angenehm im öffentlichen Raum davor aufhalten, sondern
auch dessen große gesellschaftliche Bedeutung in baulicher Form deutlich spüren.
Das Für und Wider dieser zum Teil gegensätzlichen Aspekte zwischen ökologischer und sozialer
Nachhaltigkeit führt zu einem verblüffend einfachen städtebaulichen Diagramm, das nicht nur in der
Lage ist die vorliegenden Widersprüche zu vereinen, sondern darüber hinaus eine Vielzahl von
Synergien herstellt.
Diagrammatisch beschrieben bündeln wir das gesamte Bauvolumen des Raumprogramms in einem
straßenbegleitenden Solitär, heben ihn an und erhalten damit einen zusammenhängenden,
durchlässigen Grünraum über alle angrenzenden Straßen hinweg.
Das minimiert den Versiegelungsgrad und maximiert potentielle Flächen für Vegetation und soziale
Interaktion. Wir erhalten ein 38,5m hohes und 25,4m tiefes, funktional hybrides Gebäudevolumen in
Längsausrichtung entlang der Mercedesstraße. Das Gebäude ist gen Mercedesstraße zurückgesetzt,
an der Gartenstraße tangiert es die Grundstücksgrenze, an der Poststraße hält es unter Wahrung der
nachbarschaftlichen Belange maximalen Abstand zur gegenüberliegenden Bebauung. Richtung
Unterer Torgasse entsteht ein neuer, großzügiger Grünraum. Als Hochpunkt ist das Gebäude durch
seine präzise Positionierung von jeder Seite klar wahrnehmbar, ohne dass es Konflikte mit den
gegenüberliegenden Bebauungen auslöst. Vielmehr stiftet es neue städtebauliche Zusammenhänge
und verleiht seiner öffentlichen Bestimmung Ausdruck.
Dem 5,8m hohen Erdgeschoss des 11-geschossigen Baukörpers kommt dabei eine besondere
Bedeutung zu, sein baulicher Fußabdruck ist minimiert und seine Höhe ist maximiert, um
Durchlässigkeit in alle Richtungen zu gewähren. Jede Seite bildet besondere Teilräume, so liegt die
ruhige Eingangshalle der Wohnungen an der Poststraße mit der Eingangstür zur Mercedesstraße. Die
Mercedesstraße wird von einer Kolonnade mit begleitenden Bäumen gesäumt, hier können Tische
des Cafés des Kultur- und Bürgerinnenzentrums in der Morgensonne platziert werden. Dieser Raum
leitet nach Süden in die Stadtloggia über, das Gebäude kragt hier mit der Schräge der ansteigenden
Bestuhlung des Bürgerinnensaals im 1. Hauptgeschoss 9,6m nach Süden aus und spannt damit
einen öffentlichen, überdachten Außenraum auf, der neben seiner Funktion als Eingangsbereich des
Kultur- und Bürgerinnenzentrums ganz im Sinne einer städtischen Loggia für kulturelle und
gesellschaftliche Aktivitäten zur Verfügung steht. Dieser Raum vermittelt zwischen dem
Kreuzungsraum von Mercedes- und Gartenstraße und dem öffentlichen Grünraum zwischen Gebäude
und Unterer Torgasse.
Das gesamte Areal liegt im Zentrum eines „shared space“, der durch die umgebenen Straßen
Mercedesstraße/Gartenstraße/Untere Torgasse und Poststraße gebildet wird. Die Grenzen dieses
städtischen Raumes sind fließend, Fußgängerinnen und Radfahrerinnen genießen absolute Priorität,
die Geschwindigkeit aller Fahrzeuge ist auf ein Minimum reduziert.
Architektonisches Konzept
Als hybrides Gebäude organisiert sich das Haus im Schnitt, es folgt dem Prinzip eines neutralen
Skeletts, dass sich veränderten Nutzungsprofilen leicht anpassen kann. Dazu besitzt es eine in der
Gebäudetiefe weit spannende Grundstruktur aus vier Doppelgeschossen, die nach Bedarf mit
Zwischengeschossen aufgeteilt werden können. Neben diesen konfigurierbaren Regelgeschossen
sind Untergeschoss, Erdgeschoss und Dachgeschoss spezifisch ausgebildet. Das Untergeschoss
dient der Unterbringung von motorisierten und nicht motorisierten Fahrzeugen, es ist über eine Rampe
im Westen von der Unteren Torgasse erschlossen. Das Erdgeschoss umfasst die Eingangshalle der
Wohnnutzungen samt Kinderwagenraum sowie vor allem den Eingangsbereich des Kultur- und
Bürgerinnenzentrums; sein Café öffnet sich in drei Richtungen und lädt zum Besuch des Zentrums
ein.
Die vertikale Erschließung des Gebäudes besteht aus zwei als bauliche Rettungswege ausgebildeten,
ineinander verschränkten, geschlossenen Treppenhäusern, einem separaten Treppenhaus, das die
öffentlichen zwei Hauptgeschosse des Kultur- und Bürgerinnenzentrums erschließt sowie zwei
Aufzügen, wovon einer Personen- und Feuerwehraufzug für die Wohn- und Arbeitsgeschosse, der
zweite ein großer Personen- und Lastenaufzug ausschließlich für das Kultur- und
Bürgerinnenzentrum ist.
Im Erdgeschoss sowie dem 1. bis 2. Hauptgeschoß befindet sich das Kultur- und
Bürgerinnenzentrum. Es ist über alle drei Hauptgeschosse in einen offenen, öffentlichen Bereich
nach Süden und einen geschlossenen Bereich nach Norden zoniert. Während der große
Veranstaltungssaal im 1. Hauptgeschoss eine ansteigende Bestuhlung besitzt, ist der
Multifunktionssaal darüber eben. In den weiteren Obergeschossen können Wohn- und/oder
Arbeitsgeschosse frei konfiguriert werden. Für das vorliegende Raumprogramm haben wir ein
Zwischengeschoss als Co-Workingzone vorgesehen, ein Zwischengeschoss als eingeschossige
Wohnungen und ein Hauptgeschoss als Maisonettetypen.
Gekrönt wird das Gebäude von einem Dachgeschoss mit zarter Sheddachkonstruktion aus einer nach
Süden gerichteten PV-Anlage und verglasten Nordseiten, welches sowohl für die Benutzerinnen des
Kultur- und Bürgerinnenzentrums als auch den Bewohnerinnen des Hauses offen steht. Hier können
unterschiedliche Vegetationsformen klimatisch untergebracht werden, neben ausschließlich der
Erbauung dienenden Pflanzen kann auch produktive Gartenwirtschaft in Hochbeeten betrieben
werden. Weitere Nutzungen sind eine Elterninitiative, eine Bar, sowie Spiel- und Sportflächen.
Baukonstruktion
Im Rahmen des städtebaulichen Entwurfs und angesichts der zurzeit durch Lieferengpässe und
Preissteigerungen geprägten Produktionsbedingungen kann man keine verbindlichen Angaben zur
Konstruktion des Gebäudes machen, sondern nur eine Absicht formulieren. In Anbetracht seiner
Klassifizierung als Hochhaus und Sonderbau wird ein konstruktives Skelett aus Stahlbeton das Bauen
erleichtern und eine dauerhafte Standzeit gewähren. Der Grad der Hybridisierung mit einer
Holzkonstruktion kann sich neben allen nicht-tragenden Teilen auch auf die Ausbildung der Decken
erstrecken. Die Fassaden sind als Glasvorhangfassaden mit außenliegender Verschattung
vorgesehen.
Freiraum
Durch die kompakte Bauweise wird mitten in Sindelfingen ein einzigartiger neuer innerstädtischer
Freiraum geschaffen, ein multifunktionaler grüner Stadtraum. Durch die geringe bauliche
Inanspruchnahme von wertvollem unversiegeltem Grund und Boden wird ein für Singelfingen neuer
Freiraumtypus in der Innenstadt entwickelt.
Der Freiraum wird weitestgehend als Rasen- und Wiesenfläche naturbelassen. Darüber herrscht ein
üppiger neuer Baumbestand aus verschiedensten Baumarten mit intensiver Blüte und Herbstfärbung.
Alle Bäume werden auf ca. 3.50 – 4.00 m aufgeastet, so dass sich ein geschützter, zugleich aber
übersichtlicher und heiterer Raum darunter entwickeln kann.
Die Baumarten wie Sumpfeichen, japanischer Schnurbaum, Amberbaum, Tulpenbaum, Zellkove und
Lederhülsenbaum entsprechen den derzeitigen Erkenntnissen zum Klimawandel.
Die darunterliegende Rasen- und Wiesenfläche ist nicht nur eine große Spielfläche, sondern lädt auch
zum Verweilen ein und entspricht den Wünschen einer Stadtgesellschaft an einen modernen
innerstädtischen Freiraum. Durch leichte Höhenmodellierungen entsteht zusätzlicher Retentionsraum
bei Starkregenereignissen. Sämtliches anfallendes Regenwasser wird auf dem Grundstück örtlich
versickert. Eingebettet liegen kleine, runde Sitzgelegenheiten und Spielpunkte für jung und alt.
Wege aus ungebundener Decke verbinden wie selbstverständlich das Kultur- und
Bürgerinnenzentrum mit dem umgebenen Freiräumen.
Die notwendige Beleuchtung wird mittels punktförmiger Lichtstelen zwischen den Bäumen hergestellt.
Dabei werden nicht nur die Wege beleuchtet, sondern diffus auch die Baumkronen. Aspekte der
Insektenfreundlichkeit finden bei der Beleuchtung eine besondere Berücksichtigung.
Die Gartenstraße wird mit zusätzlichen Baumreihen sinnvoll ergänzt. Zusammen mit dem
Kreuzungsbereich der Mercedesstraße wird das klassische Straßenraumprofil verlassen und zu einer
„shared space“ Fläche weiterentwickelt. Dazu werden die asphaltierten Bereiche entfernt und im
gesamten Bereich mit einem Natursteinbelag einheitlich befestigt.
Sämtliche Materialien werden nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit verwendet.
Im Team mit:
BeL Sozietät für Architektur, Köln
studio grüngrau, Düsseldorf
Preisgericht, Mai 2022: Anerkennung